in/compatible Kuratorisches Statement

12.01.2012

in/compatible Kuratorisches Statement

Fotos of e-waste found on Flickr (2009) by Vibek Raj Maurya © Vibek Raj Maurya /
Fotos of e-waste found on Flickr (2009) by Vibek Raj Maurya © Vibek Raj Maurya / Courtesy of Blacksmith Institute

Inkompatibilität bezeichnet den Zustand, wenn Dinge nicht reibungslos miteinander funktionieren. Derzeit werden allerseits Krisen ausgerufen – in der Politik, Wirtschaft, Technologie und Ökologie – und dadurch hat man schnell den Eindruck, dass wir es im Moment überall mit inkompatiblen Situationen zu tun haben. Das Ironische dabei ist, dass besonders die angeblich immer kompatibler werdende Mediensphäre diese Krisen im Handumdrehen sichtbar macht. Wo genau treten Inkompatibilitäten auf und wie passen sie zu einer Weltordnung, die auf Konvergenz ausgerichtet ist und gleichzeitig Divergenz hervorbringt?

Wenn alles scheitert

 

Inkompatibilität bezeichnet den Zustand, wenn Dinge nicht reibungslos miteinander funktionieren. Derzeit werden allerseits Krisen ausgerufen – in der Politik, der Wirtschaft, der Technologie und der Ökologie – und dadurch hat man schnell den Eindruck, dass wir es im Moment überall mit inkompatiblen Elementen und Situationen zu tun hätten und als ob gerade alles im Begriff wäre zu scheitern. Das Ironische dabei ist, dass besonders die angeblich immer kompatibler werdende Mediensphäre, wo sich sozusagen Alles miteinander verbindet, diese Krisen im Handumdrehen sichtbar macht. Man fragt sich, ob konnektive Medien und omnipräsente Datensammlungen nicht gar einen aktiven Part bei der Produktion der Krisen spielen. Wo genau treten Inkompatibilitäten auf und wie passen sie zu einer Weltordnung, die förmlich auf dem Paradox beruht, auf Konvergenz ausgerichtet zu sein und dabei doch gleichzeitig andauernd Divergenz hervorzubringen?

 

Derart schwierige Fragen, wollen wir auf der transmediale 2012 erörtern. Mit dem Thema in/compatible untersucht das Festival die produktiven und destruktiven Seiten der Inkompatibilität als fundamentale Voraussetzung kultureller Produktion. In/kompatibel zu sein, heißt, eine schnelle Rückkehr zur Tagesordnung abzulehnen und stattdessen das Wagnis des Ungewöhnlichen einzugehen: Wir interessieren uns für ästhetische, diffuse und nervöse Artikulationen von Politik und Technologie, die sensibel sind für die dunklen und zufälligen Seiten der Netzwerkkultur.

 

Das Zu Alte und das Zu Neue als zwei Seiten ein und derselben Medaille: Nichts funktioniert jemals perfekt.

 

Jahrelang schon verheißen uns Unternehmer aus dem New Media Bereich, neoliberale Wirtschaftsleute und Entwicklungsexperten das „gelobte Land“ konvergenter Technologie, Kultur und Wirtschaft. Dabei zeigt sich immer mehr, dass Konvergenzprozesse – anstatt nämlich einfach glatt abzulaufen – in Wirklichkeit neue Spannungen in den Alltag, die Wirtschaft, die Politik und die Technologie bringen. Daher bilden Spannungen und Krisenzustände auch keinen Widerspruch zur Konvergenz. Eher handelt es sich bei ihr selbst um einen Prozess, der von der Produktion des Inkompatiblen abhängt.

 

„Das Medienzeitalter ... läuft ruckhaft wie Turings Papierband,“ schrieb Friedrich Kittler und hätte sich damit genauso gut allgemein auf die technologische Entwicklung beziehen können, wo die Produktion von Inkompatibilitäten die Voraussetzung überhaupt darstellt.

 

Dass die Technologie gleichzeitig so fürchterlich versagt hat und trotzdem weltweit operiert, scheint uns über die Polarität von Utopie und Dystopie hinaus zu befördern. Stattdessen befinden wir uns in einer verschwommenen Welt des Unangepassten, Monströsen und „Un-Unternehmerischen“. Die vermehrt unklaren Spannungszustände zwischen dem Offenen und dem Geschlossenen, zwischen Freiheit und Kontrolle, dem Idealistischen und dem Kommerziellen, führen zu einer neuen Art „technokultureller Unruhe“. In diesem Kontext stellt das Inkompatible einen einzigartigen Moment transversaler Reflexion dar. Künstler, Hacker und Bastler setzen sich mit dem imperfekten Wesen der Technologie auseinander. Sie geben ihr eine kulturelle Form und entwickeln in Reaktion auf die sich sich immerfort verändernden, gesellschaftlichen und ökonomischen Bereiche der vernetzen Welt eine modulare Reflexivität.

 

transmediale 2012 ist ein in/kompatibles Wesen, das sich bewegt – wenngleich nicht unbedingt vorwärts. Anders als bei einem gescheiterten Unterfangen, sind Inkompatibilitäten beim Umgang mit den für die Netzwerkkultur so typischen Unterschieden von zentraler Bedeutung. Somit liegt das Inkompatible dem Netzwerk auch nicht Außen vor, sondern es bedingt einen internen, immerwährenden Zustand der Unterbrechung, der selbst erst das „offene“ Moment eines in seiner Entwicklung niemals fertigen Systems ermöglicht. Der Kapitalismus folgt dem Prinzip der „kreativen Destruktion“, wie Joseph Schumpeter formuliert hat. Inkompatibilitäten zuzulassen, ist für die kapitalistische Logik, sich gegenüber Geschäften „immer offen“ zu halten – also andauernd neue Produktionsfelder zu erschließen – extrem wichtig. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Inkompatibilität immer zu Kooptation führen muss. Das in/kompatible Moment produziert eine Lücke in der kapitalistischen Produktion, einen temporären Stillstand, der sich für Reflexionen darüber eignet, wohin wir uns bewegen – wenn das überhaupt so der Fall ist – und zu welchen Bedingungen.

 

Als ein in/kompatibles Wesen stellt die transmediale 2012 Projekte und kulturelle Phänomene vor, die dieses Stehenbleiben im ununterbrochenen Fluss der Dinge auskosten und als einen Moment echter Spannung verstehen, in dem die grundsätzlichen Konditionen unserer Beteiligung neu verhandelt werden können. Das in/kompatible Wesen folgt in seinen Bewegungen der besonderen Rhythmik von Spannungsverhältnissen – was nicht unbedingt heißen muss, dass es dabei vorwärts geht. Im Gegensatz zu der Angst vor dem Inkompatiblen – so normal im Zeitalter des Cloud-Computing – fragt das Festival, was passiert, wenn man die Inkompatibilität in den Vordergrund holt, anstatt sie in der dunklen Ecke der digitalen Kultur zu vergraben.

 

Bild: Fotos of e-waste found on Flickr (2009) by Vibek Raj Maurya
© Vibek Raj Maurya

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