Das Historische Video Online Programm – 9 Arbeiten aus der frühen Geschichte der transmediale

26.01.2012

Das Historische Video Online Programm – 9 Arbeiten aus der frühen Geschichte der transmediale

Auf transmediale.de im Februar 2012

Die transmediale wurde 1988 als VideoFilmFest gegründet. Damals befand sich Videokunst in einem schwierigen Zwischenstadium. Sie galt als "Minderheiten-Kultur" (Micky Kwella im Programmheft '88) und wurde vor allem in der Filmwelt nicht anerkannt. Zu selten, zu teuer und vor allem auch zu schlecht waren die in Deutschland futuristisch als "Beamer" bezeichneten Videoprojektoren. Man konnte die Zeilenstruktur des Bildaufbaus noch aus der letzten Sitzreihe erkennen, das eigentliche Video verbarg sich gewissermaßen hinter einer technisch unzulänglichen Matrix und die Farben erinnerten an mit Werbung bedruckte Plastiktüten. Gleichzeitig barg die neue Technologie das großartige Versprechen produktionstechnischer Unabhängigkeit. Das Equipment war zwar ähnlich teuer wie beim Film, das Material jedoch, die Videobänder, unvergleichlich billig. So war es für Videokünstler und filmende Aktivisten am sinnvollsten, sich in Kollektiven zusammenzuschließen, um die teure Anschaffung zu teilen und dann ohne den Druck von Fernsehsender oder Filmproduktion drehen zu können. Die Gründungsorganisation der transmediale, die Medienoperative, war eines dieser zahlreichen Kollektive. Auch entfielen in dieser Zeit viele kreative Beschränkungen der Videotechnik. Videomischer waren zwar atemberaubend teuer, aber wenn man an einen herankam, konnte man aufregende neue Effekte realisieren, die bis dahin kommerziellen Großproduktionen vorbehalten waren: Bluebox, Bild-im-Bild Montagen, animierte Schriften und rotierende, dreidimensionale Effekte. Doch ihr Einsatz erforderte nicht nur die damalige High-End-Technik, sondern auch großes technischen Know-how, was nicht wenige Künstler dazu verleitete, sich in der Entwicklung technischer Spielereien zu verlieren. Das mag auch dazu beigetragen haben, dass die Videokunst der 1980er und 1990er Jahre im aktuellen Ausstellungskontext wenig präsent ist. Dafür entdeckt die neue Generation der 'Digital Natives' jetzt die eigenwillige Schönheit des fehlerbehafteten, analogen Videomaterials. Mit diesem – natürlich sehr fragmentarischen – Online Video Programm wollen wir einige, teils lange vergessene Schätze aus der Frühzeit des VideoFestes einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir haben dabei drei undogmatische Schwerpunkte gesetzt. Zum einen die Abbildung der deutschen Videokunstszene, in deren Umfeld das VideoFest entstand, zum anderen die ästhetische Auseinandersetzung mit dem Videomaterial und seinen Möglichkeiten, die damals einen wesentlichen Teil der Videokunst ausmachten und schließlich präsentieren wir neben einigen wenigen Klassikern Arbeiten, die lange nicht mehr zu sehen waren. Viele Werke des Programms wurden eigens für die transmediale 2012 von den originalen Mastern kopiert oder sogar restauriert. Die meisten von ihnen thematisieren die Massenmedien, also vor allem das Fernsehen und seine aggressiv-propagandistische Bildästhetik. Bewusst außen vor gelassen haben wir in diesem Programm dagegen das zweite Standbein des VideoFests, das politisch engagierte Dokumentarvideoschaffen, denn das ist nochmal eine ganz eigene Geschichte.

 

Die sehr selten zu sehende Arbeit Flirting TV von Michaela Buescher ist die erste Videoarbeit aus dem ersten Programm des VideoFilmFests '88. Der Blick von Zuschauer und Protagonist wird umgedreht, das Fernsehen schaut zurück. Diese Arbeit steht für den Anspruch der Videokunst, die Massenmedien nicht nur zu kritisieren, sondern auch zu nutzen und zu verändern, so wurde das Video mit dem staatlichen ZDF produziert. (VideoFilmFest '88)

 

Wie ein Kontrapunkt zur meinungsfreudigen Videokunst der Zeit ist Gegen Gefühls Debilität von Hanspeter Ammann. Der Titel ist zwar programmatisch, jedoch bleibt der Kontext in der schönen Montage so rätselhaft wie die ganze Arbeit. (VideoFilmFest '88)

 

Rotraut Pape gehörte mit ihrem Videokollektiv RASKIN zu den profiliertesten Videokünstlerinnen der 1990er Jahre. Mutter Vater ist tot ist ein kühles Re-enactment um die Verwirrungen eines verstorbenen Protagonisten der Serie Dallas. (VideoFest '89)

 

Raphael Montañez Ortiz gilt als der Erfinder der Scratch Videotechnik, bei der das normalerweise 'gefundene' Material in schneller Folge vor und zurück bewegt wird, ein Verfahren, das seitdem festes Repertoire der Videokunst ist. The Kiss dehnt so den dramaturgischen Höhepunkt jeder Hollywood-Liebesszene, den Kuss, ins Unendliche. (VideoFest '92) 

 

Die DDR hatte zwar in den 1980er Jahren eine kleine, unabhängige Super-8 Szene, doch Videotechnik befand sich ausschließlich in Staatsbesitz und war für Künstler unzugänglich. Erst gegen Ende der 1980er Jahre versuchte die DDR, die neue Technologie (in homöopathischen Dosen) auch Künstlern zugänglich zu machen, so etwa in der Videowerkstatt der FDJ. Das VideoFest knüpfte sofort nach der Öffnung der Mauer Kontakte zur DDR-Videokunstszene und konnte 1990 drei Programme präsentieren. Darunter auch Katrin Willims Born in the GDR, eine bitterböse Satire auf die DDR zu der Musik von Sandow. (VideoFest '90)

 

Die sehr subtile Arbeit Off von Franziska Megert thematisiert einen elektronischen Fehler damaliger Fernsehbildröhren, das kurze Nachbild beim Ausschalten und wird so zu einer meditativen Darstellung des Nichts. (VideoFest '90)

 

George Kuchar zählt mit seinen lakonischen Diaries zu den bekanntesten US-amerikanischen Videokünstlern. Going Nowhere ist zu seinem 50. Geburtstag entstanden und thematisiert die Traurigkeit des Alterns, die Kuchar im Laufe der Arbeit mit seinem ganz eigenen Humor aufbricht. (VideoFest '93)

 

Video-Theorie II entstammt einer Serie ironisch visualisierter Medientheorie des Künstlerpaares Dellbrügge & de Moll. Das Video verdeutlicht experimentell die Dominanz des Bildes über den von Dieter Daniels geschriebenen Text. Die dem Bild zu Grunde liegende komplexe Videotechnologie konnten die Künstler nur im Rahmen eines  Stipendiums in Paris nutzen. (VideoFest '93)

 

Kniespiel III von Claus Blume markierte in seiner virtuosen Verwendung der Bluebox-Technik einen Höhepunkt der damaligen videotechnischen Möglichkeiten, der auch heute nichts von seiner suggestiven Kraft verloren hat. Dabei ironisiert der Künstler seine technologische Virtuosität, indem er als Motiv traditionelle bayrische Volkstänze wählt. (VideoFest '94)

 

Flirting TV, Michaela Buescher, de 1987, 8 min

Gegen Gefühls Debilität, Hanspeter Ammann, br/ch 1987, 16 minMutter Vater ist tot – Mother Father is Dead, RASKIN (Rotraut Pape & Andreas Coerper), de 1987, 7 min

The Kiss, Raphael Montañez Ortiz, us 1985, 6 min

Born in the GDR, Katrin Willim (Sandow), gdr 1989, 4 min

Off, Franziska Megert, de 1989, 3 min

Going Nowhere, George Kuchar, us 1992, 10 min

Video-Theorie II, Dellbrügge & de Moll, de 1992, 6 min

Kniespiel III, Claus Blume, de 1990, 4 min

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